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Veröffentlicht in Lautschrift (September 2024).
Die AfD hat sich in Ostdeutschland etabliert und ist zu einer Volkspartei geworden. Die Ursache dafür ist jedoch nicht eine besondere autoritäre “ostdeutsche Mentalität”, wie manche behaupten. Die AfD ist stattdessen ein Produkt der herrschenden Politik, welche es zunehmend zu einem gesamtdeutschen Problem macht.
Exportweltmeister Deutschland: Auf wessen Kosten?!
Deutschland war Anfang der 2000er Jahren in einer Krise, seit Jahren stagnierte die Wirtschaft und konnte international im Wettbewerb nicht bestehen. Als Antwort auf diese Krise führte die Schröder-Regierung eine Reihe von Kürzungen ein, gemeinhin bekannt als "Agenda 2010“. So wurden Arbeitsrechte beschnitten, ein großer Niedriglohnsektor eingeführt und die Rente gesenkt. Diese Maßnahmen haben zur Folge, dass ein normaler italienischer oder slowakischer Haushalt ein größeres wirtschaftliches Vermögen besitzt wie ein deutscher Haushalt, aufgrund des Fehlen eines vergleichbaren Niedriglohnsektors. Ein deutscher Arbeiter hatte 2014 sogar ein geringeres Einkommen als 1992, wenn man die Inflation mit beachtet!
Für sich selbst hätten diese Maßnahmen der deutschen Wirtschaft nur geschadet. Geringere Reallöhne bedeutet auch, dass die Bevölkerung weniger Geld hat, um deutsche Waren zu kaufen. Die Osterweiterung der Europäischen Union zur gleichen Zeit gab deutschen Großkonzernen jedoch einen Ausweg. Der Beitritt vieler Staaten Osteuropas zur Europäischen Union in den 90er und 2000er Jahren gab diesem Großkonzern einen Absatzmarkt für seine Exporte. Die Wirtschaft konnte so an Lohnkosten sparen durch die Schaffung eines großen Niedriglohnsektor, womit sie ihre Preise drücken konnten. Diese niedrigen Preise verdrängten die ausländischen Produzenten im europäischen Binnenmarkt, während die Europäische Union den deutschen Unternehmen Zugriff auf billige Arbeitskräfte gab. Diese Konkurrenz der Arbeiter wurde ausgenutzt, um Löhne zu drücken. Das deutsche Wirtschaftswachstum war so auf dem Rücken der Arbeiter.
Folgen für Ostdeutschland
Dies hatte eine einschneidende Folge für Ostdeutschland: Die regional orientierten Unternehmen, die im Osten die Mehrheit der Wirtschaft ausmachen, litten darunter. Schon geschwächt aufgrund des Ausverkaufs von Industrie und der Auswanderung Teile der Bevölkerung infolge der Wiedervereinigung fehlt ihnen dazu auch noch ein starker Heimatmarkt für ihre Produkte. Sie stehen gleichzeitig auch noch mit ausländischen Unternehmen in der Konkurrenz. So haben viele der Landwirte Probleme, gegen ausländische Agrarunternehmen zu bestehen und werden regelrecht überflutet mit ihren niedrigeren Preisen. Dies hat die schlechteren wirtschaftlichen Bedingungen verfestigt, wo das wirtschaftliche Niveau des Ostens 20% unter dem des Westens ist. Diese wirtschaftliche Schwäche hat auch Folgen für die Löhne in Ostdeutschland, so verdient man in Ostdeutschland rund 800 Euro weniger.
Entpolitisierung der Gesellschaft
Wie konnte jedoch solch eine Politik durchgesetzt werden, die keine nennenswerte Vorteile für die arbeitende Bevölkerung beinhaltete? Der globalisierte Arbeitsmarkt, in der Form des europäischen Binnenmarktes, und der Ausbau des Niedriglohnsektors wurden genutzt, um die Macht der Gewerkschaften zu brechen. Diese waren jedoch aufgrund ihrer Unterordnung unter der SPD nicht in der Lage, diese Maßnahmen einer SPD-Regierung zu widersetzen. Sie wurden in die Position gedrängt, immer wieder Lohnkürzungen zuzustimmen, nur um Arbeitsplätze und den „Standort Deutschland“ zu retten. Dies hat verheerende Folgen, da dies langfristig die Arbeiter von den Gewerkschaften entfremdet, da man nur Verschlechterungen zustimmt, statt diese zu bekämpfen. Dementsprechend sinken die Mitgliederzahlen der Gewerkschaften seit Jahren, die Anzahl der DGB-Mitglieder hat sich in den letzten 30 Jahren halbiert. Kämpferische Kräfte in den Gewerkschaften sind bisher jedoch nicht sichtbar geworden, um dagegen organisiert anzukämpfen.
Damit konnten sie eine stetige Entpolitisierung der Gesellschaft erreichen, womit eine breite Opposition gegen diese Politik verhindert wurde. Statt gemeinschaftlich die Probleme zu bekämpfen, versuchen Menschen sich individuell zu arrangieren. Das Fehlen dieser Opposition bedeutet jedoch, dass die herrschende Politik der letzten 30 Jahre nicht mehr Gegenwind bekommt. In diesem Zusammenhang wurde in vielen Bereichen gekürzt, was z.B. dazu führt, dass immer mehr Jugendclubs schließen müssen. Währenddessen berichtet eine Schlagzeile nach der nächsten in den Lokalzeitungen von insolventen Diskotheken. Es gibt immer weniger Räume, wo Jugendliche gemeinsam ihre Freizeit verbringen können. So gaben 46% der Jugendlichen in einer Umfrage der Bertelsmann Stiftung an, dass sie sich einsam fühlen.
“Früher war alles sozialer”
Diese Entwicklung tritt nochmal verstärkt in Ostdeutschland auf. Fast jede Person, die in der DDR aufgewachsen ist, ist der Meinung, dass Menschen damals „sozialer“ waren. Das hat materielle Ursachen: Jede Person auf einem Dorf hatte Zugang zu einer Jugendeinrichtung in ihrer Nähe, es gab eine flächendeckende Gesundheitsversorgung, Arbeiter in einem Betrieb unternahmen oft gemeinsam ihre Freizeit durch geförderte Angebote und man arbeitete oft sein ganzes Leben in einem Beruf. All diese Strukturen schufen ein gemeinschaftliches Leben. Nach der Wiedervereinigung zerbrach dies jedoch komplett, Kürzungen, eine strengere Unternehmenskultur und die Entlassung vieler Arbeiter waren der Hauptgrund.
Spaltung als Mittel in der Krise
Diese Umstände gaben der AfD einen Nährboden im Osten. So konnten sie die Perspektivlosigkeit der Bevölkerung, und insbesondere der Jugend, ansprechen, die aufgrund stagnierender Löhne, Sozialabbau und einer wachsenden Einsamkeit herrscht. Das sind Probleme, die zwar weiter fortgeschritten im Osten sind, jedoch ganz Deutschland betreffen. Die abflauende globale Wirtschaft führt zu immer weniger verfügbaren Absatzmärkten für die deutsche Wirtschaft, weswegen die Wirtschaft zur Zeit stagniert. Die Regierung reagiert damit, überall zu kürzen, was sich nicht rentiert. Diese Politik schadet jedoch besonders der Jugend. Denn die Regierung wird auch bei der Förderung von Jugendeinrichtungen, Unterstützung von Klubs und Gelder für Schulen kürzen. Damit wird unser gesellschaftlicher Zusammenhalt angegriffen. Währenddessen wird die Spaltung unserer Gesellschaft als Mittel eingesetzt, um diese Kürzungen zu legitimieren. Arbeitende gegen Arbeitslose, Einheimische gegen Ausländer, Bedürftige gegen Nutznießer, werden als angebliche Trennlinien dieser Gesellschaft dargestellt und gegeneinander ausgespielt. Ziel ist es, unsere Sicht weg zu lenken von einem Wirtschaftssystem, das in den letzten Jahren uns keinen Wohlstand gebracht hat, sondern der Jugend und der arbeitenden Bevölkerung geschadet hat.
Aufstieg der AfD
Das alles nützt der AfD. Sie kann diese Verwerfungen nutzen, um auch in der Jugend populär zu werden, während ihr Narrativ bestätigt wird. So stellt sie sich als Projektionsfläche dar, worüber ein Gefühl der Ohnmacht ausgedrückt wird — und das in ganz Deutschland. Denn überall sind wir von diesen Umständen betroffen, selbst wenn dies in Ostdeutschland schon stärker fortgeschritten ist. Man muss bei den kommenden Landtagswahlen also nicht in die Falle tappen, dass die AfD hauptsächlich ein ostdeutsches Problem ist. So war die AfD zweitstärkste Partei in Bayern (12,6%) und Baden-Württemberg (14,7%) bei den Europawahlen. Denn auch dort steigt die Perspektivlosigkeit durch den wachsenden Zerfall gemeinschaftlicher Strukturen. Die AfD ist heutzutage ein alldeutsches Problem. Den Aufstieg der AfD kann man deswegen nur organisiert lösen durch die Schaffung neuer gemeinschaftlicher Strukturen, um aufzuzeigen, dass es eine Alternative gibt und dass wir selbst unsere Zukunft bestimmen können durch unsere Selbstorganisierung. Ohne solche Organisationen wird es unmöglich sein, uns langfristig dem Rechtsruck entgegenzusetzen und wirkliche Lösungen gegen die Kürzungspolitik durchzusetzen.